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alle Welt, und manche Familie hat auf diese Art wohl ein halbes
Dutzend Söhne in der Fremde, während die Töchter daheim klöppeln,,
spinnen u. s. w.
Nebel, welche die letzten Häuser kaum erkennen lassen und die
höchstens in der Mittagsstunde weichen, kündigen dem Erzgebirger den
Winter an, der ihm gewöhnlich in der fürchterlichsten Gestalt erscheint;
denn wochenlang schneit es oft in einem fort, ja wohl in einer Nacht
so, daß man sich in Dörfern aus den Häusern schaufeln, bisweilen so-
gar aus dem Dache steigen muß, um einen Gang zur Hausthür oder
Gucklöcher für die Fenster der Unterstuben zu schaffen, die meist düstern
Kellern gleichen. Ein 2 bis 5™ hoher Schnee ist in strengen
Wintern nicht selten, und Stürme, die nirgends fürchterlicher heulen,
bilden oft 10 bis 20™ tiefe Windwehen, über welche der Ge-
birger mit angeschnallten Fußbrettern oder Schneeschuhen leicht hinweg-
gleitet. Unglück zu verhüten, werden zwar Signalstangen gesetzt,
auch bei starkem Schneewetter dem Wanderer, besonders Abends, durch
Glockengeläute oder Trompeten Zeichen gegeben, in welcher
Richtung er zu waten habe. Doch vergeht selten ein Winter, wo nicht
Menschen im Schnee umkommen. Dessenungeachtet heißt der Erzge-
Lirger den Winter allemal freundlich willkommen/, denn er bringt ihm
eine seiner liebsten Erscheinungen: Schlittenbahn, welche die Wege
ebnet, Verkehr und Geselligkeit befördert und gewöhnlich länger dauert,
auch weit schöner ist, als im Niederlande. Man fährt nicht, sondern
fliegt gleichsam, der Gefahr trotzend, über Berg und Thal, und selbst
Kinder gleiten auf Rutscheschlitten, meist zwei und zwei, die steilsten
Höhen hinab. Überhaupt ist die Jugend dort weit abgehärteter, als
im Niederlande, und oft, wenn man hier schon nach Pelz und Man-
tel greift, springen dort Kinder unter freiem Himmel barfuß in bloßen
Hemden herum, die noch dazu meist nur Hemden gewesen zu sein
scheinen. So spielen sie auch vor den Thüren, so begleiten sie, um
eine Gabe bittend, den Wagen des Reisenden.
Wie liegt das Königreich Sachsen vom Königreich Preussen? —Wie heisst
der Hanptfluss des Landes? — Das Hauptgebirge? — Welche Mineralien liefert
es? — Wie heisst die Hauptstadt? — Die bedeutendste Handelsstadt? —
Was wisst ihr von Leipzig? — Wie viel Staaten kennt ihr jetzt? —
Nenne sie! — Was ist Preussen? — Was ist Sachsen? —
Zeichnet jetzt das Königreich Sachsen! —
Beschreibet es! —
36. Die zwei Gromerzogthürner Mecklenburg.
(3-L.)
Nun wollen wir uns weiter nach Norden wenden und aus der
Provinz Hannover hinüberschiffen über den Elb ström nach Mecklen-
burg. Obgleich Mecklenburg einen meist fruchtbaren Boden, eine
gute Bewässerung durch Seen und Flüsse und eine sehr günstige
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— 84 —
Schmutz, an allen Ecken und Enden Fleisch- und Semmelbuden, Höcker«
weiber und dampfende „Würstel".
Wie im Lande, so zeigt sich auch im Charakter des Böhmen noch
mannigfach eine gewisse Natürlichkeit. Ein hervorstechender Zug im
Charakter des ganzen böhmischen Volkes ist jene unterthänige Höflichkeit.
Wenn der Preuße einfach „guten Morgen" sagt, so spricht schon der
Sachse: „schönen guten Morgen", der Böhme aber kann es dabei
nicht bewenden lassen, und vollendet den Satz: „guten Morgen wünsch'
ich", „guten Abend wünsch' ich"; damit indessen noch nicht zufrieden,
nennt er auch noch den gehorsamsten Diener, und ein vollständiger
Nachtgruß lautet: „Gute Nacht wünsch' ich, Ihr gehorsamster Diener,
schlafen Sie wohl!"
Der Bauer hat schon seinen Hut unter dem Arme, wenn er seinen
Gutsherrn von Weitem erblickt. Muß er mit ihm sprechen, oder kommt
er sonst in seine Nähe, so begrüßt er ihn mit einem Handkuß. Diese
Sitte hat etwas Patriarchalisches und Zutrauliches und ist viel besser,
als jenes Kniebeugen der Polen. Dem Pfarrer küssen Alt und Jung,
Männer und Weiber, Bursche und Mädchen die Hand, sobald sie ihm
auf der Straße begegnen oder ihn in seinem Hause besuchen. Sämmt-
liches Gesinde nicht nur, sondern auch die obern Hausbeamten küssen
dem gnädigen Herrn, der gnädigen Frau täglich, sobald sie
derselben ansichtig werden, die Hand. In den höhern Ständen küssen
die Söhne und Töchter des Hauses, so lange sie noch nicht das vier-
zehnte Jahr überschritten haben, dem Papa und der Mama, dem Onkel
und der Tante nach jeder Mittagsmahlzeit und vor dem Schlafengehen
erst die Hand und dann den Mund.
Das anziehendste und wichtigste Schauspiel bietet Böhmen dar in
der Mischung zweier grundverschiedenen Nationen, die seine Bevöl-
kerung bilden. Von den fünftehalb Millionen sind nämlich 2,500,009
Czechen (Tschechen), der übrige Theil Deutsche. Wie zwei'feind-
selige Elemente sind jene zwei Völker oft zischend und brausend gegen
einander gefahren, bis der Czeche erlag. Aber seine Hoffnung auf eine
bessere Zukunft lebt in Dichtung und Sage von Geschlecht zu Ge-
schlecht fort. Aus dem reichen Schatze derselben nur ein Beispiel. Im
Taborer Kreise liegt ein Berg, Blanik, aus dem rieselt eine Quelle
hervor mit grünlichem Wasser und weißem Schaume. In alten Zeiten,
wo ein sehr mächtiger Feind das Czechenvolk bedrängte und endlich
unterjochte, hatten sich aus der letzten unglücklichen Schlacht noch einige
tausend Eingeborne gerettet und, vom Feinde hart verfolgt, im Inner::
jenes sonderbaren Berges, der sich plötzlich der Reiterschaar geöffnet,
Schutz und Zuflucht gefunden. Allda schlafen sie nun schon viele hundert
Jahre sammt ihren Pferden, sterben aber nicht, sondern werden wieder
hervorkommen, wenn die Zeit erfüllet ist und Böhmen wieder in der
größten Bedrängniß sein wird; dann aber werden sie siegen. Zuweilen
heben sie die Köpfe empor und fragen, ob es nicht Zeit sei. Dann
spitzen die Pferde die Ohren, aber alsbald fällt auch alles wieder in
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87
So klagte sie bitter und weinte sehr,
Als Lärmen an's Ohr ihr schlug, .
Mit Jauchzen trabte die Straße einher
Ein glänzender Retterzug.
Voran aus falbem, schnaubendem Rotz
Die herrlichste aller Frau'n,
Im Mantel, der strahlend vom Nacken ihr floß.
Wie ein schimmernder Stern zu schattn.
Die strahlende Herrin war Frau Hitt,
Die reichste im ganzen Land,
Doch auch die Ärmste an Tugend und Sittt,
Die rings im Lande man fand.
Ihr Goldroß hielt die Stolze
Und hob sich mit leuchtendem Blick,
Und spähte hinunter und spähte hinan,
Und wandte sich dann zurück.
Blickt rechts, blickt links hin in die Fern,
Blickt vor- und rückwärts herum;
So weit ihr überall schauet, ihr Herr'n
Ist all' mein Eigenthum.
Viel tapfre Vasallen*) gehorchen mir,
Beim ersten Wink bereit;
Fürwahr ich bin eine Fürstin hier,
Und fehlt nur das Purpurkleid!
Die Bettlerin hört's und rafft sich aus,
Und steht vor der Schimmernden schon,
Und hält den weinenden Knaben hinauf
Und fleht in kläglichem Ton:
O seht dies Kind, des Jammers Bild»
Erbarmt, erbarmt euch sein,
Und hüllet das zitternde Würm lein mild
In ein Stückchen Linnen ein!
Weib, bist du rasend, zürnt die Frau,
Wo nähm' ich Linnen her?
Nur Seid' ist all, was an mir ich schau,
Von funkelndem Golde schwer.
Gott hüte, daß ich begehren sollt',
Was fremde mein Mund nur nennt,
O so gebt mir, gebet, was ihr wollt,
Und was ihr entbehren könnt!
Da ziehet Frau Hitt ein hämisch Gesicht
Und neigt sich zur Seite hin,
Und bricht einen Stein aus der Felsenschicht
Und reicht ihn der Bettlerin.
Da ergreift die Verachtete wüthender Schmerz.
Sie schreit, daß die Felswand dröhnt:
O würdest du selber zu hartem Erz,
Die den Jammer des Armen höhnt!
Diener.
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127
Hand der Mutter im Garten spazieren. Sie standen endlich vor einem
Spaliere, an welches der Vater viel herrliche Bäumchen gepflanzt hatte,
die jetzt ihre ersten Früchte trugen.
§. L Als sie noch standen und sich des schönen Anblicks freuten,
kam ein Bote und brachte ein versiegeltes Schreiben. Hastig griff die
Mitter darnach und rief erfreut: „Kinder, es ist die Hand des Vaters,
hört, was er schreibt!"
Und der Vater hatte geschrieben, wie er noch gesund sei, auch
bald kommen werde und wünsche, alle seine Lieben gesund wieder zu
sehen. Endlich befahl er den Kindern artig zu sein, und besonders
die Früchte der Bäumchen, vor denen ste zufällig gerade standen, un-
berührt zu lassen, damit er später sehen könne, von welcher Art sie sein
möchten. Die Knaben versprachen der Mutter, dem Gebote des Vaters
Folge zu leisten.
§. 5. Da kam aber einst der Sohn des Nachbars, ein böser Bube,
und beredete Wilhelm also, daß sie in den Garten gingen und voll
Naschbegier die Bäumchen allzumal ihrer noch nicht völlig gereisten
Früchte beraubten. Aber als die That geschehen war, da sah Wilhelm
erst ein, wie sehr er gesündigt, weinte und wünschte sie nicht vollbracht
zu haben. — Der Sommer ging zu Ende, und der Vater kehrte wieder.
Die ganze Familie freute sich; Wilhelm aber ging ihm schüchtern ent-
gegen und schlug das Auge zu Boden, denn seine Sünde lastete auf
ihm. Er konnte dem Vater nicht froh ins Angesicht sehen.
§. 6. Und als der Heimgekehrte am andern Tage auspackte und
jeglichem seiner Kinder ein mitgebrachtes Geschenk gab, da jauchzten
alle, nur Wilhelm sah vor sich nieder und weinte; alle waren fröh-
licher als er. Der Vater aber fragte: Wilhelm, warum weinest du?
Und der Knabe antwortete: Ach, mein Vater, ich bin deiner Liebe nicht
werth, ich bin ungehorsam gegen dein Gebot gewesen, denn siehe, ich
habe doch deinen Bäumchen die Früchte geraubt! Deine Reue versöhnt
mich, sagte der Vater und hob den Sohn ans Herz; ich verzeihe dir,
aber folge mir in den Garten!
§. 7. Und er führte den Knaben zu jenen Bäumchen, welche er
an den Geburtstagen seiner Kinder gepflanzt hatte. Siehe, da war
das eine größer geworden, hatte einen stärkern Stamm, denn das an-
dere, und hing wieder voll schöner Früchte. Das andere aber, was
Wilhelm gehörte, war klein geblieben, verwachsen und stand kahl und
traurig da. Ringsum hatten nämlich Nesseln, Schlingpflanzen und an-
deres Unkraut gewuchert und dem Bäumchen die beste Kraft zum Wachs-
thum entzogen. So war es das kleinste geblieben. Warum, mein
Sohn, fragte jetzt der Vater, giebt dein Bäumchen keine Frucht und
steht so traurig da? —
§. 8. Der Sohn schlug die Augen zur Erde, Nöthe deckte seine
Wangen, und er sprach: „Das Unkraut trägt die Schuld." — Also
verderben böse Gesellschaften die guten Sitten, redete ernst
der Vater; möchtest du, mein Sohn, nie wieder vergessen, was dich
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Wilhelm Wilhelm Wilhelm Wilhelm Wilhelm
132
die Nahrung ihm reichlicher zugeströmt ist, als nach der linken. Vielleicht
hat der Todte, der jetzt am Wege liegt, einst am Saume eines Wal-
des gestanden; vom Walde, wo er mit vielen seiner Brüder die Nahrung
zu theilen hatte, konnte ihm nicht so viel gespendet werden, als von der
Waldwiese. Doch ich sehe an meinem Stamme, daß nur die erste
Hälfte seines Lebens diese Erscheinung bietet, die zweite Hälfte hat
die Jahresringe ringsherum gleichmäßig stark angesetzt. Wahrscheinlich
sind seine Nachbarn früher gefällt als er; ihn, als einen Spätling, hat
man noch eine Zeit lang stehen lassen.
52. Die Bäume.
Ich hab' die Bäume gar zu gerne Wenn in des Mittags heißer Schwüle
Und freu' mich ihrer wie ein Kind, Des Mannes Kraft ermattet sinkt,
Weil ich aus ihrem Treiben lerne, So ist's der Bäume Schattenkühle,
Daß sie des Menschen Freunde sind. Die liebevoll zur Rast ihm winkt.
Den Knaben schon erfüllt's mit Wonne, Und wenn der Greis für seinen Jammer
Sein Herz und Auge lacht entzückt, Im Winter Trost und Hülfe sucht,
Wenn in des jungen Lenzes Sonne So wärmen Bäume seine Kammer
Der Baum mit Blüthenschnee sich schnmckt. Und nähren ihn mit ihrer Frucht.
Und sieht der Jüngling oft betroffen Sinkt dann am Schluß der Erdenträume
Auf seiner Bahn das Glück entflieh'n, Der Müde zur ersehnten Ruh',
So zeigt der Baum auf neues Hoffen So senden ihm die guten Bäume
Mit seinen grünen Armen hin. Sechs Bretter für sein Bettchen zu.
Und liegt er endlich längst vergessen
Im Stübchen unterm Rasendach,
Dann weinen Weiden und Cypressen
Ihm noch so manche Thräne nach.
(Zusner.)
Ii. Sträucher.
55. Der Johannisbeerstrauch.
Gewiß, der Johannisbeerstrauch ist mir der liebste unter allen
Sträuchern. Er breitet sich buschig aus, und seine langgestreckten Blätter
haben eine sehr angenehme Form. Schon Ende Aprils sehen wir ihn
in seiner ersten Herrlichkeit. An langen Stielen hangen dann die kleinen,
gelben Blüthen, wie die Beeren an der Weintraube. Denkt euch den
Strauch dagegen, wie er noch im März erschien. Da stand er kahl,
seine Äste und Zweige wie todte Ruthen.
Wie die Blätter größer werden und wachsen, so entwickeln sich auch
bald aus den Blüthen die Früchte. Eine Zeit lang bleibt uns dann
der Strauch mit seinen großen grünen Blättern und dm irr Trauben
hangenden, grünen Beeren als Hoffnungszeichen; aber hernach kommt die
Zeit der schönsten Erfüllung. Allmählich färben sich die aus dem Laube
hervorblinkenden grünen Trauben, die Beeren werden röthlich, größer
und schöner, endlich neigen sich schwerbeladen die schwächeren Zweige.
Welche Fülle der Früchte! Und wmn Johanni kommt, dann
strecken wir Kinder gerne die Hände nach erquickenden Gaben aus.
Wir pflücken mit Wonne die weinsäuerlich schmeckenden Beeren, welche
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Blumen, freundliche Kinderchen ihr,
Dann schlaft ihr der Mutter im Arm!
Sie heget und pfleget euch für und für,
Bis Lüftchen im Lenze so warm.
Dann schlüpft ihr hinaus in die son-
nige Welt,
In Busch und Feld,
Und lasset mit wonnigem Lächeln
Euch wieder von Westen umfächeln.
Blumen, freundlichen Kinderchen gleich,
Froh küssen euch Quellen den Fuß,
Und Vöglein, tändelnd durch Waldes-
gesträuch,
Sie bringen in Liedern den Gruß,
Und gehet die herrliche Sonne dort auf,
In ihrem Lauf
Blickt strahlend so warm sie hernieder
Und küsset euch Blümelein wieder.
Plenen kommen in freudiger Hast,
Lang' haben sie euch nicht geschaut,
Bittensich summend und brummend zugast,
Der Schmetterling grüßt euch vertraut.
Bor allen der Mensch mit der fühlen-
den Brust,
In stiller Lust,
Begrüßet euch Lieblichen wieder,
Euch weihend die schönsten der Lieder.
Blumen, dankend druni öffnet ihr auch
Den würzigen duftenden Schooß,
Und lebenerftischender, stärkender Hauch,
Reißt statt der Sprache sich los. —
So lebt ihr mit heiterem, liebendem
Sinn
Im Lenze hin,
Und wehet der Nordwind Hemieder,
So kehret zur Mutter ihr wieder.
(Kellner.)
61. Die Hyazinthe.
(Xiv. M u st e r st ü ck von Kellner.)
§. 1. Sophie war betrübt, daß der Winter so lange währte. Denn
sie liebte die Blumen, und hatte ein kleines Gärtchen, wo sie sich die
schönsten mit eigener Hand erzog. Darum sehnte sie sich nach dem
Frühlinge, und daß der Winter vorübergehen möchte.
§. 2. Da sprach der Vater: Siehe, Sophie, ich habe dir eine
Blumenzwiebel mitgebracht, du mußt sie dir aber selbst mit Sorg-
falt erziehen.
§. 3. Wie üevmotfjte ich das, mein Vßatex, antwortete das Mäd-
chen. Es ist ja Schnee draußen, und die Erde ist hart wie ein Stein.
— So redete sie, denn sie wußte nicht, daß man auch in Scherben
Blumen erziehen kann, und hatte es niemals gesehen.
§. 4. Der Vater aber gab ihr ein Töpfchen mit Erde, und
Sophie that die Blumenzwiebel hinein. — Aber sie sah den Vater
an und lächelte, zweifelnd, ob er auch im Ernste geredet; denn sie
meinte, es müsse ein blauer Himmel über der Blume schweben und
Frühlingslüftchen um sie her, und unter ihren Händen könne solche
Herrlichkeit nicht gedeihen.
§. 5. Nach einigen Tagen hob sich die Erde in dem Scherben,
grüne Blättchen trugen sie empor auf ihren Spitzen und kamen an das
Licht. Da frohlockte Sophie, klatschte in die Hände und verkündete dem
Vater und der Mutter und dem ganzen Hause die Geburt des jungen
Pflänzchens. Darauf benetzte Sophie die Pflanze mit Wasser und lächelte
mit Wohlgefallen auf sie hernieder.
§. 6. Der Vater sah es an und sprach: So recht, mein Kindl
Dem Regen und Thau muß der Sonnenschein folgen. Der Strahl
des freundlichen Auges giebt der Wohlthat, welche die Hand reicht, ihren
Werth. — Dein Pflänzchen wird wohl gedeihen, Sophie!
§. 7. Nun kamen die Blätter aus dem Schooße der Erde ganz
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152
sich am Abend zur Ruhe'und schläft während der Nacht. Gestärkt er-
wacht er dann am Morgen. Die Bäume haben jetzt ihren Schmuck
verloren und stehen entlaubt da; die Blumen sind verblüht, das Gras
der Wiesen ist verwelkt und alles still. Kein munterer Singvogel läßt
mehr seine Lieder erschallen, und nun treibt kein Hirt mehr seine Heerde
ins Freie. Kalt, sehr kalt ist es oft während -des Winters, und die
Leute hüllen sich deshalb tiefer in warme Kleider und Pelze. Jetzt
kann man den Ofen nicht entbehren. Man heizt fleißig ein , damit es
in den Stuben warm werde. Manche arme Leute haben weder Holz
noch Kleidung, und müssen daher frieren. Könnte ich ihnen doch helfen! —
Das Wasser gefriert vor Kälte und verwandelt sich bald in Eis.
Flüsse und Teiche sind im Winter gar oft von ihm bedeckt.
Durch die Kälte gefrieren auch die Dünste in der Luft und fallen
als Schnee herab. Dieser bedeckt Dächer, Straßen und Fluren mit
einem weißen Teppich und blendet das Auge des Wanderers. Unter
dem Schnee wächst die junge Wintersaat lustig empor, da sie durch ihn
vor Kälte geschützt wird.
Freilich können wir jetzt nicht mehr so häufig draußen spazieren
gehen, denn die Tage dauern nur acht bis neun Stunden, und oft ist
das Wetter sehr rauh. Aber doch bietet der Winter uns Kindern viele
Freuden. Wie schön ist's, wenn wir auf Schlitten schnell die Hügel
hinabgleiten! Wie schön ist's, wenn wir auf dem glatten Eise, die
Füße mit Schlittschuhen beflügelt, dahin eilen! Welche Lust ist's, wenn
der Schnee zu thauen beginnt! Da wälzen die Knaben einen Schnee-
ball so lange vor sich her, bis er groß genug ist. Nun wird noch
ein kleinerer darauf gesetzt, und der Schneemann ist fertig.
Während der langen Winterabende bleiben die Kinder zu Hause.
Da können sie um Nüsse und Äpfel spielen, oder in nützlichen Büchern
lesen und sich so angenehm die Zeit vertreiben.
Auch das schöne Weihnachtsfest wird im Winter gefeiert. Es soll
uns an die Geburt des Heilandes der Welt erinnern. Da gehen alle,
Groß und Klein, froh in die Kirche und danken Gott für die Sendung
seines Sohnes. Wir Kinder aber werden an diesem freundlichen Feste
oon unsern guten Eltern beschenkt. Ja, auch der Winter ist schön!
Und schüttelt vom kalten Gefieder
Der Winter uns Schnee auf die Flur,
So schlägt uns sein Stürmen nicht nieder,
Der Eislauf ergötzet uns nur.
84k Die vier Jahreszeiten.
(Xi. Musterstück von Kellner.)
Ernst hatte sich einen Mann aus Schnee gemacht. Jetzt stand er
vergnügt dabei, jubelte laut vor Freude und rief: „Ach wenn es doch
immer Winter bliebe!" Der Vater hörte dies und schrieb des
Sohnes Worte in seine Schreibtafel. Der Winter verging; es kam der
Frühling. Da ging Ernst mit seinem Vater in den Garten, um zu
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— 153 —
arbeiten. Als sie eintraten, fielen dem Knaben eine Menge herrlicher
Blumen in die Augen. Der Gärtner hatte des Vergnügens halber sie
alle gepflanzt; Hyazinthen, Veilchen, Aurikeln und Schneeglöckchen standen
in voller Blüthe und verbreiteten süßen Wohlgeruch. Lange blieb der
überraschte Knabe vor dem lieblichen Kindern des Lenzes stehen, und der
Vater sragte: Weißt du, wer diese Blümchen uns bringt? „Wohl,"
antwortete Ernst, „den Lenz erkennt man an seinen Blumen; bliebe
er doch immer bei uns!" —
Auch diesen Wunsch schrieb der Vater sich auf. Jetzt kam der
Sommer. Manche Früchte waren von der Hitze gereist. Da ging
Ernst mit seinen Eltern und Gespielen nach dem nächsten Dorfe. Hier
setzten sie sich in eine Laube, durch deren dichtes Laub die Sonnen-
strahlen abgehalten wurden. Wie herrlich schmeckte jetzt unserm Ernst
die frische Milch, obgleich sie in Gefäßen vor ihm stand, die nur aus
schlichtem Thon verfertigt waren. Später aß er Kirschen und anderes
Sommer-Obst und freute sich auf dem Heimwege über die grünen Saaten
und die blumigen Wiesen, auf welchen junge Lämmer tanzten und imllh-
wlllige Füllen ihre Sprünge machten. Nicht wahr, sagte der Vater,
auch der Sommer ist schön? „O," antwortete Ernst, „ich wollte,
daß es immer Sommer bliebe!" Auch diesen Wunsch merkte sich
der Vater, um später den Sohn zu belehren. —
Die Tage wurden kürzer, das Laub vergelbte, und Ernst erkannte
an allen diesen Merkmalen den Herbst. Die ganze Familie brachte
jetzt einige Tage im Weinberge zu. Es war nicht mehr so heiß, als
im Sommer; aber die Luft war sanft und der Himmel heiter. Die
Weinstöcke waren mit reifen Trauben behängen und die Zweige der
Bäume von der Last der reisen Früchte niedergebeugt.
Das war ein Fest für unsern Ernst, der nichts lieber aß, als Obst.
Die schöne Zeit, sagte sein Vater, wird bald vorbei sein; der Winter
ist schon vor der Thür, um den Herbst zu vertreiben. „Ach," sagte
Ernst, „ich wollte, daß er wegbliebe, und daß es immer
Herbst wäre!"
Wolltest du das wirklich? fragte sein Vater. „Wirklich," war des
Knaben Antwort. Aber, fuhr der Vater fort, indem er die Schreib-
tafel aus der Tasche zog, sieh einmal, was hier geschrieben steht! Lies
doch! „Ernst wünschte, daß es immer Winter wäre!" Und nun lies
hier! „Ernst wollte, daß es immer Frühling sein möchte." Was
steht aber hier? „Ernst wünschte, daß es immer Sommer wäre."
Erinnerst du dich noch dieser Wünsche, fragte der Vater? „Ach ja,"
antwortete Ernst, „ich weiß sie wohl." Und was wünschtest du eben?
„Ich wünschte, daß wir immer Herbst hätten." Das ist doch sonder-
bar, sagte der Vater. Im Winter wünschtest du, daß es Winter, im
Frühlinge, daß es Frühling, im Sommer, daß es Sommer, und im
Herbste, daß es Herbst sein möchte. Denke einmal nach, was folgt wohl
daraus? „Zufolge meiner unüberlegten Wünsche sind alle Jahres-
zeiten gut," antwortete Ernst. Ja wohl, fuhr der Vater fort, es
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Extrahierte Personennamen: Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst Ernst
willige auszurüsten, oder die Kleidungsstücke, Betten und Verbandzeug
hergaben, oder Charpie zupften, um Kranke.und Verwundete zu pflegen?;
Eine fchlesifche Jungfrau schnitt sich, weil sie nichts Anderes zu geben
hatte, ihr schönes Haar ab und gab den Erlös hin zur Ausrüstung der
Freiwilligen. Männer und Frauen wetteiferten mit einander in dem
edlen Bestreben, dem Aufrufe des verehrten Landesvaters zu entsprechen,
und Preußen ist den übrigen Deutschen damals ein würdiger Ver-
treter und das erste Beispiel der Freiheit und Ehre geworden.
Die Begeisterung, welche Preußen bewegte, zündete aber auch in dem
übrigen Deutschland. Von den fernsten Grenzen des Südens bis
zum Norden und Westen, wo nur immer deutsche Zungen redeten
und deutsches Blut in den Adern rollte, da wiederholte sich
derselbe Sinn, dasselbe Streben bei Jung und Alt, in jedem Stande
und in jedem Geschlechte. Ein neuer Völkersrühling war angebrochen
im deutschen Lande. Edle Sänger, wie Theodor Körner, Max
Schenkendorf, Friedrich Rückert, Moritz Arndt und viele andere
erhoben ihre Stimmen, und ihre Lieder klangen in tausendfachem Chor
wieder im Heere und im Volke.
„Das Volk steht auf, der Sturm bricht los.
Wer legt noch die Hände feig in den Schooß!" —
so erklang Körner's mahnende Stimme, und Arndt sang sein berühmtes
Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland?" —
Vollkommen haben es die Deutschen damals bewiesen, daß Ehre
und Freiheit, König und Vaterland chnen heilige und theure Güter
sind — und daß sie für diese Güter Siege zu erkämpfen wissen, wie
sie uns die Geschichte erzählt von den Tagen bei Großbeeren
(2?. August 1813), an der Katzbach (26. August), bei Dennewitz
(6. September) und bei Leipzig (16., 18. und 19. Oktober). —
40. Blücher und die Schlucht mr der Katzbach.
(26. August 1813.)
Am 2. Mai fand in der Nähe von Lützen die erste Schlacht in
den Befreiungskriegen statt. Napoleon hatte vermessen gedroht, der
preußische Name sollte gänzlich ausgelöscht werden aus der Reihe der
Völker. Gott aber wollte es anders. Gleich bei Lützen oder Groß-
Görschen kämpften die jungen preußischen Krieger mit einer Kühnheit
und Todesverachtung gegen die französische Übermacht, daß Napoleon
nur mit Mühe das Schlachtfeld behauptete. In größter Ruhe und
Ordnung zogen sich die Verbündeten an die Elbe zurück. Damit
aber Niemand dies als eine Flucht deuten sollte, redete Blücher am
Tage nach der Schlacht seine Truppen also an: „Guten Morgen,
Kinder! Diesmal hat es gut gegangen! Die Franzosen sind gewahr
geworden, mit wem sie es zu thun haben. Der König läßt sich bei
euch bedanken. Aber das Pulver ist alle! Drum gehen wir bis hinter
die Elbe zurück. Da werden unsere Kameraden kommen. Die bringen
uns Pulver und Blei. Dann sollen die Franzosen die schwere Noth
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Extrahierte Personennamen: Theodor_Körner Max
Schenkendorf Max Friedrich_Rückert Friedrich Moritz_Arndt Arndt August August August Napoleon Napoleon
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erzürnt, und das Glück hatte die Waffen der Danaer verlassen. Sie
sind nun geflohen, um das Bild wieder herbei zu schaffen. Zuvor aber
erbauten sie noch dieses hölzerne Pferd, das sie als Weihgeschenk für
die beleidigte Göttin zurückließen, um ihren Zorn zu versöhnen. Man
ließ diese Maschine darum so hoch Lauen, damit ihr Trojaner sie nicht
durch eure Thore in die Stadt bringen könntet, weil auf diese Weise
der Schutz der Minerva euch zu Theil werden würde."
Darauf riffen die Trojaner die Mauern ihrer Stadt nieder, um
dem unheilvollen Gaste den Weg zu bahnen; sie fügten Räder an die
Füße des Rosses und zogen es jubelnd in ihre heilige Burg, nicht
achtend auf die Warnungen der Seherin Kassandra.
Die Trojaner überließen sich die halbe Nacht hindurch der Freude
bei Schmaus und Gelage. Unterdessen schlich sich jener Betrüger zu
den Thoren und ließ als verabredetes Zeichen eine lodernde Fackel in die
Lüfte wehen; dann pochte er leise an den hohlen Bauch des Pferdes,
und die Griechen kamen leise zum Vorschein. Mit gezückten Schwertern
verbreiteten sie sich in die Häuser der Stadt, und ein gräßliches Gemetzel
entstand unter den schlaftrunkenen und berauschten Trojanern. Feuer-
brände wurden in ihre Wohnungen geschleudert, und bald loderten die
Dächer über ihren Häuptern. Zu gleicher Zeit stürmten die anderen
Griechen in die Stadt, die sich mit Trümmern und Leichnamen anfüllte.
Die Danaer bemächtigten sich unermeßlicher Schätze und schleppten Weiber
und Kinder an den Strand des Meeres. Menelaus führte seine Ge-
mahlin Helene weg. Priamus und seine Söhne waren niedergestoßen.
Die Königin nebst ihren Töchtern, wie auch die edle Andre mache,
wurden als Sklavinnen unter die Sieger vertheilt. Troja selbst wurde
dem Erdboden gleich gemacht.
Mit kostbarer Beute und vielen Gefangenen schifften nun die Griechen
nach ihrem Vaterlande zurück, von welchem sie zehn Jahre lang entfernt
gewesen waren.
41. Lykurg und die Spartaner.
(888 v. Chr.)
Lykurg war der Sohn eines Königs von Sparta oder Lacedamon. Auf
Reisen lernte er die Gesetze anderer Völker kennen, ebenso die Gedichte Homers
(Ilias und Odyssee), die er mit nach Griechenland brachte. Bei seiner Zurück-
kunft war Unfrieden und Unordnung im Lande, und darum beschloß er, seinem
Volke eine Verfassung zu geben, unter der alle, der König wie der gemeinste
Bürger, ihre gesammte Thätigkeit der Beförderung des allgemeinen Wohles widmen
sollten. Bevor er aber ans "Werk ging, begab er sich nach Delphi, brachte dem
Gott sein Opfer, und fragte, ob sein Vorhaben, Gesetzgeber von Sparta zu wer-
den, einen gesegneten Erfolg haben werde. Der Orakelspruch ermuthigte ihn.
Um ein anderes Geschlecht von Menschen nachzuziehen, machte er nun solche An-
stalten, bei denen zu erwarten war, daß es hinfort nur gesunde und kraftvolle
Menschen in Sparta geben werde. Nur kräftige Kinder wurden auferzogcn und
mißgestaltete und schwächliche in eine Kluft geworfen. Die Erziehung war streng
und abhärtend. Die Kinder waren nicht warm eingehüllt; man gewöhnte sic früh
an geringe Kost; sie mußten lernen allein sein, ohne sich zu fürchten und ohne zu
schreien. Nach dem siebenten Altersjahre durfte der Knabe nicht mehr länger im
elterlichen Hause bleiben, sondern er kam unter die Aufsicht der Obrigkeiten und
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Extrahierte Personennamen: Kassandra Schmaus Helene